Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 verpflichtete Deutschland sich, ein inklusives Bildungssystem aufzubauen, um das Recht jedes Kindes auf hochwertige, gleichberechtigte und inklusive Bildung zu verankern. Nach 10 Jahren ist die Inklusion im Schulsystem immer noch nicht angemessen umgesetzt. Mit der Aktion "100 Grundschulstimmen für inklusive Bildung", die IN VIA und fünf Grundschulleitungen im Rahmen des Projektes "Schule für alle" in Freiburg initiierten, waren Grundschulen aufgerufen, sich klar zur inklusiven Bildung zu bekennen und sich zu vernetzen.
Angesprochen wurden alle 2400 Grundschulen in Baden-Württemberg und viele weitere deutschlandweit. 27 Grundschulen sagten öffentlich "JA" zu einer inklusiven Grundschule. Sie stellen sich damit klar hinter die Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention. Und weit darüber hinaus: "Abgesehen vom Recht auf Teilhabe sind wir davon überzeugt, in einer sozialen Gemeinschaft Stärken ausbilden und füreinander da sein zu können, auch weil die große Vielfalt so viel mehr hergibt als die Separation", erklärt eine Schulleiterin aus Nordrhein-Westfalen ihre Überzeugung. Sie beschreibt damit ihre Erfahrung, dass alle Kinder vom gemeinsamen Lernen profitieren: Akzeptanz, Empathie, Rücksichtnahme, Teamarbeit, der Umgang mit Unterschieden - all dies sind Kompetenzen, die sie brauchen, und Werte, die in einer vielfältigen Gesellschaft immer wichtiger werden.
Das Ergebnis der Aktion "100 Grundschulstimmen" offenbart das Dilemma der Grundschulen und legt den Finger in die Wunde: Eigentlich ist das Lernen in der Vielfalt hier schon immer selbstverständlich. Sehr viele Rückmeldungen machten jedoch deutlich, dass ein uneingeschränktes JA für eine inklusive Grundschule an den Rahmenbedingungen scheitert. Edgar Bohn, einer der Mitinitiator*innen und Vorsitzender des Grundschulverbandes Baden-Württemberg, fordert deshalb die Gleichstellung der Grundschule mit den anderen Schulformen hinsichtlich ihrer finanziellen Ausstattung, die Förderung von sonderpädagogischen Kompetenzen in der Lehrerausbildung und die ausreichende Einstellung qualifizierter Lehrer*innen.
Die Aktion zeigt auch: Schulen agieren sehr isoliert. Gegenseitiger Austausch zu guter Praxis, ein gemeinsames Inklusionsverständnis und fachlich gebotene Konzepte sind nicht die Regel. Die Initiator*innen nehmen die Aktion deshalb auch zum Anlass, eine weitere Vernetzung von Grundschulen zu erreichen. So plant der Grundschulverband Baden-Württemberg ein breites gesellschaftliches Aktionsbündnis, um das Anliegen weiter zu befördern. Zusammen mit Schulen, Eltern und Wohlfahrtsverbänden soll in naher Zukunft ein Forderungspapier erstellt werden.